Was ist Rebirthing Breathwork?
Atemarbeit ist längst mehr als ein Randthema alternativer Heilmethoden. Weltweit entdecken immer mehr Vertreter aus dem psychotherapeutischen Bereich, Coaching, Leadership Development und Sinnsuchende die Kraft des sog. verbundenen, bewussten Atmens. Heute hat sie sich als wesentlicher Baustein der modernen, progressiven Persönlichkeits- und Bewusstseinsentwicklung etabliert.
Dieser Artikel grob den ordnet Ursprung, die Funktionsweise und heutige Anwendungspraxis für dich ein.
“Atemarbeit öffnet Türen zu Bewusstseinsebenen, die mit Worten allein nicht zugänglich sind.”
— Stanislav Grof, Psychiater, Psychotherapeut
Wie lässt sich Atemarbeit grundsätzlich einordnen?
Bewusste Atemarbeit hat tiefe Wurzeln: In östlichen Traditionen wie dem indischen Pranayama, dem tibetischen Tummo oder der chinesischen Qi-Atmung wurde der Atem seit Jahrtausenden als Schlüssel zu Energie, Bewusstsein und Heilung genutzt. Seither haben sich viele Strömungen entwickelt, die sich schematisch in zwei Richtungen zuordnen lassen, der täglichen Atemarbeit und der transformativen Atemarbeit – der Rebirthing Breathwork zuzuordnen ist.
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Ziel: Zumeist regulative Atemtechniken, die das Nervensystem gezielt beruhigen, teilweise auch anregen sollen
Atemführung: Gesteuert, rhythmisch, oft langsam (z. B. 4 Sekunden ein, 7 halten, 8 aus)
Dauer: Kurz (1–15 Minuten), in Alltag integrierbar
Begleitung: Meist nicht – Selbstanwendung möglich
Erfahrungsraum: Alltagsnah, gegenwärtig, stabil
Einsatz: Genutzt zur Stressbewältigung, Resilienz-Aufbau, Energieentwicklung, Achtsamkeit u.a.
Risiken: Gering, bei korrekter Anwendung
Methoden: Pranayama, Buteyko, Wim Hof u.a.
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Ziel: Stark aktivierende, psychodynamisch wirksame Atemtechniken, die Zugang zu Unterbewusstem herstellen sollen
Atemführung: Intensiv, verbunden, ohne Pausen zwischen Ein- und Ausatmen
Dauer: Längere Sessions (60–120 Minuten), im therapeutischen oder rituellen Setting
Begleitung: Ja – idealerweise durch erfahrene Facilitator:innen oder Therapeut:innen
Erfahrungsraum: Tiefgreifend, oft konfrontativ, potenziell spirituell
Einsatz: Genutzt zur Bewusstseinserweiterung und Verarbeitung von Material im Unterbewusstsein
Risiken: Höher – Kontraindikationen wie psychotische Zustände, Schwangerschaft, Herzerkrankungen u.a. zu beachten
Methoden: Rebirthing Breathwork (Orr), Holotropes Atmen (Grof), Vertikales Atmen (Walch) u.a.
Woher kommt die transformative Atempraxis?
Die Ursprünge reichen zurück in die 1970er-Jahre, als zwei Pioniere unabhängig voneinander auf die Kraft des Atems als Weg zur Heilung stießen:
Leonard Orr entwickelte in Kalifornien das „Rebirthing Breathwork“, eine Methode, bei der bewusst und verbunden geatmet wird, um unbewusste Prägungen aufzulösen (Orr, 1977).
Fast zeitgleich begannen der transpersonale Psychiater Stanislav Grof und seine Frau Christina das „Holotrope Atmen“ zu erforschen, das veränderte Bewusstseinszustände erzeugt – als Alternative zu psychedelischer Psychotherapie (Grof, 1985).
Wo wird Atemarbeit eingesetzt?
Die transformative Atempraxis wird heute in vielen Bereichen erfolgreich eingesetzt:
Selbsterfahrung & Persönlichkeitsentwicklung: Zur Lösung von inneren Blockaden, zur Stärkung des Selbstkontakts
Stressbewältigung & Prävention: Zur Regulation des Nervensystems, Steigerung der Resilienz
Körperarbeit & Coaching: Zur Aktivierung unterdrückter Gefühle und körperlicher Energien
Psychotherapie: Zur Trauma-Integration, bei Depressionen, Ängsten, psychosomatischen Beschwerden
Spiritualität: Als Werkzeug zur Bewusstseinserweiterung und Sinnfindung
Was ist der Mehrwert von Atemarbeit?
Viele Teilnehmende berichten nach einer Atemsitzung von einem Gefühl tiefer innerer Ruhe, Klarheit und Befreiung. Emotionale Lasten, die oft über Jahre unbewusst mitgetragen wurden, können sich lösen – nicht analytisch, sondern somatisch und erlebensbasiert. Die Rückverbindung mit dem eigenen Körper, mit Gefühlen, inneren Bildern oder transpersonalen Erfahrungen stärkt das Gefühl von Selbstwirksamkeit, Sinn und Verbundenheit.
Konkret unterstützt Breathwork bei der
Auflösung von körperlich und geistig tief verankertem Stress
Integration und Überwindung emotionaler Altlasten von Blockaden
Lösung limitierende Glaubensgrundsätze und Programmierungen
Realisierung vom Wunsch nach innerem Wachstum und Weiterentwicklung
Verarbeitung geistiger und seelischer Identitäts- und Lebenskrisen
Wie funktioniert transformative Atemarbeit?
Allen Varianten gemeinsam ist das Prinzip des bewussten, verbundenen Atmens: Der Atemfluss wird intensiviert, ohne Pausen zwischen Ein- und Ausatmung. Dies erzeugt eine physische und psychische Aktivierung, die tief liegende emotionale Inhalte, Körpererinnerungen oder transpersonale Erfahrungen (z. B. archetypische Bilder oder Einheitsgefühle) an die Oberfläche bringen kann.
Die veränderte Atemdynamik wirkt direkt auf das autonome Nervensystem, insbesondere auf die Balance zwischen Sympathikus (Aktivierung) und Parasympathikus (Entspannung). Gleichzeitig verändert sich die neuronale Verarbeitung im Gehirn: Studien zeigen, dass bewusstes Atmen sowohl die Amygdala-Aktivität (Zentrum für emotionale Reaktion) als auch die funktionale Konnektivität in Selbstwahrnehmungsnetzwerken beeinflussen kann (Zaccaro et al., 2018).
Wie läuft eine Atemsitzung ab?
Atemreisen werden im Gruppenformat oder auch in individuellen Sitzungen durchgeführt. Eine Atemsitzung dauert in der Regel 1,5 bis 3 Stunden und wird von einer geschulten Fachperson begleitet.
Individuelle Sitzungen beginnen mit einem Vorgespräch, um aktuelle Themen, Wünsche und mögliche Grenzen zu klären. Bei Gruppen erfolgt zunächst eine allgemeine Einführung und Information zu Kontraindikationen.
Anschließend folgt die eigentliche Atemsitzung (ca. 90-120 Minuten und länger), begleitet von Musik und ggf. körperfokussierter Arbeit (z. B. durch Berührungen oder verbale Impulse bei Wunsch durch Klient).
Nach dem Atemprozess ist Zeit für Integration – durch Austausch, Stille, Schreiben oder kreative Ausdrucksformen. In Gruppensettings kommen auch Sharing-Runden zum Einsatz.
Gibt es Risiken oder Kontraindikationen?
Wie jede tiefgehende Methode ist auch Atemarbeit nicht für alle Menschen geeignet. Voraussetzung ist eine normale körperliche und mentale Gesundheit und Belastbarkeit. Konkrete Kontraindikationen umfassen u. a.:
Akute psychotische Zustände oder instabile Persönlichkeitsstörungen
Epilepsie, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenerkrankungen
Schwangerschaft (je nach Intensität und Phase)
Einnahme bestimmter Psychopharmaka
Deshalb ist vorab die Prüfung von Kontraindikationen und fachkundige Begleitung entscheidend.
Was ist sonst zu beachten?
Transformative Atemarbeit ist kein Ersatz für medizinische oder psychotherapeutische Behandlung, kann aber eine kraftvolle Ergänzung sein. Entscheidend ist die Qualifikation der Begleitperson: Eine fundierte Ausbildung, Erfahrung mit Krisenprozessen und eine klare ethische Haltung sollten selbstverständlich sein.
Zudem gilt: Die Integration nach der Sitzung ist genauso wichtig wie das Erleben selbst. Erst durch bewusste Reflexion, achtsame Nachsorge und gegebenenfalls weitere Begleitung kann das Erlebte wirklich wirksam werden.
Fazit
Die Atemarbeit ist ein uraltes, zugleich hochmodernes Werkzeug auf dem Weg zu sich selbst. Sie eröffnet Zugang zu inneren Räumen, die mit Worten kaum zu greifen sind – aber mit dem Atem spürbar werden.
Wer bereit ist, sich auf diesen Weg einzulassen, dem eröffnet sich eine stille, kraftvolle Dimension: die Rückverbindung mit dem eigenen Wesen.
Quellen
Orr, L. (1977). Rebirthing in the New Age
Grof, S. (1985). Beyond the Brain
Walch, S. (2002). Dimensionen der menschlichen Seele
Zaccaro, A. et al. (2018). How breath-control can change your life: A systematic review on psychophysiological correlates of slow breathing. Frontiers in Human Neuroscience
Grof, S., & Grof, C. (2010). Holotropic Breathwork: A New Approach to Self-Exploration and Therapy