Im Zwischenraum des Bewusstseins – Trance-und Visionsreisen als Weg der inneren Erkenntnis

Trance- und Visionsreisen erleben in der Psychotherapie, Persönlichkeitsentwicklung und Spiritualität eine neue Blütezeit. Zwischen Hypnose, Imagination und schamanischer Praxis angesiedelt, ermöglichen sie Zugänge zu inneren Bildern, Ressourcen und unbewussten Prozessen.

Dieser Artikel beleuchtet Ursprung, Anwendungspraxis und Funktionsweise von Trance- und Visionsreisen.

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Woher kommen Trance- und Visionsreisen?

Trance-Zustände sind kein modernes Phänomen, sondern so alt wie die Menschheitsgeschichte. In fast allen indigenen Kulturen der Welt existieren Rituale, die auf rhythmische Musik, Atem, Bewegung oder Pflanzen setzen, um veränderte Bewusstseinszustände herzustellen – sei es bei den Sibiriern, im Amazonastiefland oder bei keltischen Druiden.

Im deutschsprachigen Raum finden sich vergleichbare Praktiken in alten europäischen Heiltraditionen, etwa in Visionsträumen oder den Ekstase-Riten der Mystiker. In der Neuzeit haben Psychologen wie Milton Erickson (Hypnotherapie) oder Carl Gustav Jung (aktives Imaginieren) der Trance eine wissenschaftlich-psychologische Grundlage gegeben.

Wo werden Trance- und Visionsreisen eingesetzt?

Trance-Reisen finden heute Anwendung in vielen professionellen Kontexten:

  • Psychotherapie: z. B. bei Trauma-Integration, Ressourcenaktivierung oder innerer Kind-Arbeit

  • Coaching und Persönlichkeitsentwicklung: zur Visionsarbeit, Entscheidungsfindung oder Stressbewältigung

  • Spiritualität und Selbstentwicklung: als innere Reise zu Krafttieren, Ahnen oder Symbolbildern

  • Palliative Begleitung und Krisenintervention: um tiefe emotionale Prozesse zu begleiten

Im deutschsprachigen Raum ist besonders das hypnosystemische Arbeiten (Gunther Schmidt) und die klinische Hypnose nach Milton Erickson weit verbreitet. Auch schamanisch inspirierte Formate erleben eine Renaissance, oft in therapeutisch adaptierter Form.

Was ist der Mehrwert von Trance- und Visionsreisen?

Trance-Reisen bieten einen Zugang zu inneren Ebenen, die im Alltagsbewusstsein oft verdeckt bleiben. Ihr Nutzen liegt in mehreren Dimensionen:

  • Kognitive Entlastung: Der rationale Verstand tritt in den Hintergrund, das Unbewusste wird aktiviert.

  • Emotionale Integration: Alte Verletzungen oder blockierte Gefühle können in sicherem Rahmen erlebt und verarbeitet werden.

  • Ressourcenzugang: Kreativität, Intuition und innere Kraftquellen werden zugänglich.

  • Selbstklärung: Konflikte, Wünsche oder Entscheidungen können aus neuer Perspektive betrachtet werden.

  • Spiritualität: Der Kontakt zu etwas Größerem – ob innerlich oder transpersonal – wird als sinnstiftend erlebt.

Wie funktionieren Trance- und Visionsreisen?

Trance ist ein natürlicher Zustand, den wir täglich erleben – z. B. beim Tagträumen, Autofahren oder kurz vor dem Einschlafen. In der Trance-Reise wird dieser Zustand gezielt herbeigeführt, oft durch:

  • Ruhige, monotone Sprache (Suggestion, Hypnose)

  • Imaginative Anleitung (z. B. symbolhafte Landschaften, innere Orte)

  • Musik, Atem, Klang oder Bewegung

  • Fokussierung nach innen und gleichzeitige Entspannung

Das Gehirn wechselt dabei in einen anderen Frequenzbereich (Alpha- bis Theta-Wellen), was eine erhöhte Suggestibilität, Offenheit und emotionale Durchlässigkeit ermöglicht.

Wie läuft eine Trance- oder Visionsreise ab?

Eine typische Trance-Reise gliedert sich in fünf Phasen:

  1. Ankommen & Vorbereitung: Klärung des Themas oder Anliegens, Einstimmung durch Atem oder Körperwahrnehmung

  2. Einleitung: Induktion der Trance, oft über Sprache, Atem oder Klang

  3. Hauptteil / Reise: Geführte Imagination, freier innerer Prozess oder symbolischer Ablauf (z. B. innere Landschaft, Begegnung mit einem inneren Anteil)

  4. Rückholung: Sanfte Rückkehr ins Alltagsbewusstsein, z. B. über Zählen, Bewegung, Atem

  5. Integration: Austausch, Nachspüren, evtl. kreative Verarbeitung (Schreiben, Malen)

Eine Sitzung dauert je nach Format zwischen 30 und 90 Minuten.

Welche Risiken und Kontraindikationen gibt es?

Trance-Reisen sind grundsätzlich sanft, aber nicht für alle Menschen geeignet. Vorsicht oder therapeutische Begleitung ist geboten bei:

  • Akuten psychotischen Zuständen

  • Schwerer Traumatisierung ohne vorherige Stabilisierung

  • Dissoziativen Störungen

  • Epilepsie (v. a. bei starker Atemarbeit)

  • Bestimmten Persönlichkeitsstörungen

Bei Menschen mit instabiler psychischer Verfassung kann das abrupte Öffnen tiefer emotionaler Inhalte überfordernd sein. Auch Kontraindikationen wie Medikamente, Drogen oder körperliche Instabilität sollten berücksichtigt werden.

Was ist sonst noch zu beachten?

  • Rahmung & Setting sind entscheidend: Eine sichere Umgebung, eine qualifizierte Leitung und Nachbegleitung sind essenziell

  • Trance ist keine Magie: Sie wirkt nicht „über“ jemanden, sondern mit ihm

  • Nicht jede Reise ist spektakulär: Auch scheinbar „leere“ Trancen können wertvolle Impulse liefern

  • Integration braucht Zeit: Der eigentliche Erkenntnisprozess setzt oft erst nach der Reise ein.

Fazit

Trance-Reisen sind kein esoterischer Trend, sondern ein tief wirksames psychologisches Werkzeug mit historischen Wurzeln und moderner Relevanz. In einer Zeit, in der viele Menschen den Zugang zu ihrem Inneren verloren haben, bieten sie eine wertvolle Möglichkeit, in einen heilsamen Dialog mit sich selbst zu treten – jenseits von Verstand, Leistung und Alltag.

Quellen

  • Erickson, M.H. & Rossi, E. (1979): Hypnotherapie – Grundlagen, Anwendungen, Forschung.

  • Grof, S. (2000): Das Abenteuer der Selbstentdeckung.

  • Mindell, A. (1993): Prozessorientierte Psychologie – Die Entdeckung des inneren Lehrers.

  • Harner, M. (1980): Der Weg des Schamanen.

  • Schmidt, G. (2019): Lösungsorientiertes Arbeiten mit Hypnosystemik.

  • Vaitl, D. et al. (2005): Psychophysiologie veränderter Bewusstseinszustände.

  • van der Kolk, B. (2015): The Body Keeps the Score.